Der Schule fehlt das Personal. Für Schulleitungen wird es jeden Sommer schwieriger, geeignete Lehrpersonen zu finden. Der Lehrpersonenmangel führt bisweilen zu kuriosen Auswüchsen.
Schüler*innen suchen selbst nach einer Lehrperson
Auf das Stelleninserat der Schulleitung in einem Dorf im Kanton Bern hat sich niemand beworben. Die Schüler*innen haben das mitbekommen und nehmen die Suche ihrer Lehrperson gleich selbst in die Hand. Das mag ja rührend sein, aber scheint doch eher befremdend, wenn Kinder mit Personalsorgen belastet werden.
Jeder darf jetzt Lehrer sein
Die Bildungspolitiker wirken ratlos. Sie sagen zwar, dass der Lehrerjob aufgewertet werden müsse, tun aber genau das Gegenteil. So hat kürzlich der Kanton Zürich beschlossen, dass nun alle Personen unterrichten dürfen, auch ohne jegliche Ausbildung.
Das tönt nach Verzweiflung und schon fast nach Kapitulation. Es ist nur eine kurzfristige Symptombekämpfung. Was könnte denn passieren?
Szenario 1 - Chaos und Überlastung: Die unausgebildeten Lehrpersonen versuchen ihr Bestes. Doch wenn bereits erfahrene Lehrpersonen Mühe bekunden, den Regelunterricht in der heutigen Welt und mit einer heterogenen Schar einigermassen aufrecht zu halten, so wird das für Unerfahrene noch schwieriger. Es gibt mehr Probleme, mehr Chaos. Die Schulleitungen versuchen die Feuer zu löschen, sind dauernd mit Rekrutierung beschäftigt und drehen irgendwann durch. Der Job wird auch für die ausgebildeten Lehrpersonen schlechter, weil sie immer wieder aushelfen müssen und in Notszenarien eingebunden werden. So könnte sich der Mangel an Lehrpersonen (und Schulleitungen) weiter verstärken.
Szenario 2 - Abwertung des Lehrberufs: Falls sich unausgebildete Lehrpersonen tatsächlich flächendeckend als gute Alternative bewähren, ist das für den Berufsstand der Lehrer auch keine gute Nachricht. Das Ansehen wird sinken und man muss sich fragen, warum es denn eine pädagogische Ausbildung überhaupt braucht, wenn es auch ohne geht.
Kollaps der Schule
Niemand weiss, was in den nächsten Jahren geschehen wird. Es kann sein, dass das Schulsystem mit letzter Kraft einen Weg findet, mit den Herausforderungen dieser Zeit umzugehen. Der akute Lehrkräftemangel kann aber auch ein Vorbote sein für das Ende der Schule, wie wir sie kennen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir grössere Veränderungen sehen werden.
Schule ist eine Erfindung des Menschen und wie jede Erfindung kann sie irgendwann überflüssig werden.
Unsere Schule wurde von der katholischen Kirche erfunden, um gehorsame Priester hervorzubringen. Als dann der Staat das Schulsystem übernommen hat, blieb eigentlich alles gleich, nur die Ideologien wurden ausgetauscht. Man gab zum kirchlichen System noch eine Prise Militär und Industrialisierung hinzu und schon hatte man eine Schule, die anstatt Priester nun folgsame Arbeiter und unersättliche Konsumenten produzierte. Dies ist der Charakter der Schule, wie wir sie heute kennen.
Man kann Schule gut finden oder nicht, aber das System mit Lehrperson und Klassenzimmer funktioniert einfach immer schlechter (warum das so ist, habe ich in “Schule in der Taylorwanne” und “Schule in einer VUCA-Welt” beschrieben). Ein Schulsystem, das schlecht zum Menschen und zur Welt passt, kann nur mit grossem Aufwand am Leben gehalten werden. Dies merkt man an den dafür nötigen Finanzen und daran, dass Schulleitungen und Lehrpersonen überlastet sind. Irgendwann haben sie keine Kraft mehr oder ihnen vergeht die Lust am Job.
Was bleibt, wenn Schule vergeht
Schule ist eine Erfindung, deren Zeit irgendwann vorbei sein wird. Das Lernen aber, welches in unserer menschlichen Natur verankert ist, wird immer bleiben. Seit tausenden von Jahren kommen Menschen auf die Welt, öffnen ihre Augen und lernen von anderen Menschen in ihrer Umgebung.
Menschen lernen durch Teilhabe an der Gesellschaft. Je vielfältiger die Begegnungen und je besser die Beziehungen von jungen mit erfahrenen Menschen, desto mehr Lernen findet statt.
Leider haben wir mit der Erfindung der Schule eine für das Lernen denkbar ungünstige Situation geschaffen: Im Klassenzimmer treffen Kinder nur auf Gleichaltrige und auf eine erwachsene Lehrperson. Von Gleichaltrigen können Kinder nur wenig lernen. Damit bleibt die eine erwachsene Person, die zu 25 Kindern eine Beziehung aufbauen und die ganze Vielfalt der Erwachsenenwelt vorzeigen soll. Eine unmögliche Aufgabe.
Inzwischen sind wir zu dumm, um zu merken, dass das Schulsystem, welches eigentlich zum Lernen gedacht wäre, uns in grossen Teilen vom Lernen abhält. Anstatt die Zeit in der Schule zu reduzieren, bauen wir sie nur noch weiter aus. Mehr Kita, mehr Kindergarten, mehr Tagesschule, mehr Schulstunden und mehr Studienjahre. Die Erwachsenen haben sich fast komplett verabschiedet von der gemeinsamen Aufgabe, junge Menschen an das Leben in der Gesellschaft heranzuführen.
Man kann Begegnung und Beziehung nicht durch bezahlte Betreuung und Beschulung ersetzen.
Irgendwann werden wir uns zurückbesinnen und die jungen Menschen aus der Isolation der Klassenzimmer befreien. Wir werden wieder zur Grundform des Lernens durch Teilhabe an der Gesellschaft zurückfinden, weil wir uns alles andere nicht mehr leisten können. Es werden Lern- und Arbeitsorte sein mit vielfältigen Begegnungen zwischen allen Generationen.
Lernen der Zukunft wird vermutlich mehr Ähnlichkeit haben zum Lernen der Jäger und Sammler als zum Lernen in Klosterschulen. Den Akteuren im Schulsystem kann ich nur empfehlen, die Wilden und Mutigen zu unterstützen, Alternativen auszuprobieren und von ihren Erfahrungen zu lernen.